Wohnstadt Carl Legien
Die Wohnstadt Carl Legien ist ein bedeutendes Zeugnis des sozialen Wohnungsbaus sowie der architektonischen und städtebaulichen Auffassungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts.
Die große Wohnungsnot führte dazu, dass die junge Weimarer Republik in Artikel 155 ihrer Verfassung für jeden Deutschen das Recht auf eine gesunde Wohnung verankerte:
„Die Verteilung und Nutzung des Bodens wird von Staats wegen in einer Weise überwacht, die Mißbrauch verhütet und dem Ziele zustrebt, jedem Deutschen eine gesunde Wohnung und allen deutschen Familien, besonders den kinderreichen, eine ihren Bedürfnissen entsprechende Wohn- und Wirtschaftsheimstätte zu sichern.“ (Auszug aus Artikel 155 der „Weimarer Reichsverfassung“ vom 11. August 1919)
Zur Realisierung eines groß angelegten Wohnungsbauprogramms wurden Bausparkassen und gemeinnützige Wohnungsunternehmen gegründet und Altbaubesitzern eine Hauszinssteuer auferlegt.
Für den massenhaften Bedarf entwickelten die fortschrittlichen Architekten jener Zeit Ideen für einen sozialen und ökonomischen Wohnungsbau. Sie setzten konsequent auf die neuen, in der industriellen Revolution Mitte des 19. Jahrhunderts entstandenen Baumaterialien wie Glas, Stahl, Beton und Verblendklinker und schufen eine harmonische, rationale, der inneren Funktion entsprechende Architektursprache mit einfachen kubischen Formen, ineinander geschobenen Raumvolumen, frei stehenden Wandscheiben oder auch markanten Auskragungen. Der in jener Zeit entwickelte Wohnungsstandard mit eigener Küche und eigenem Bad ist noch heute allgemeingültig.
Die Wohnstadt Carl Legien entstand zwischen 1928 und 1930 im Auftrag der GEHAG nach Entwürfen der Architekten Bruno Taut und Franz Hilliger. Sie ist von Sachlichkeit und Funktionalität geprägt, wirkt jedoch durch ihre Farbigkeit und kubischen Formen besonders lebendig.
Besonders gut erlebbar ist das damalige Motto Licht, Luft und Sonne!:
Die Haupträume der Wohnungen sind zu den Gartenhöfen orientiert. Dadurch wirken die Fassaden zu den schmalen Straßen relativ schmucklos und werden lediglich durch mehrfarbige Fenster und Eingangstüren belebt. Von großartiger Wirkung sind dagegen die Hofseiten mit aneinander gereihten, kastenartig vorgesetzten und farblich vom Fassadenfond abgesetzten Loggien. Unter den Flachdächern bilden gleichmäßig gereihte Dachbodenfenster ein zusammenfassendes Element.
Die offenen Wohnhöfe wurden durch Hecken und Baumgruppen an der Erich-Weinert-Straße optisch leicht geschlossen und standen allen Bewohnern zur Verfügung.
Die Wohnungen waren mit Einbauküchen, Badezimmer und WC sowie teilweise auch mit Zentralheizungen ausgestattet und boten den damals modernsten Komfort. Zudem verfügte die Wohnstadt über zwei Wäschereien und ein Zentralheizwerk sowie Ladengeschäfte.
Von den ursprünglich geplanten drei Bauabschnitten wurden nur zwei mit 1.145 Eineinhalb- bis Dreieinhalb-Zimmer-Wohnungen realisiert.
Der dritte, nördlich des Lindenhoekweges konzipierte Bauabschnitt fiel der Wirtschaftskrise und den politischen Wandlungen zum Opfer und wurde in den späten 1930er Jahren als eine schlichte Blockrandbebauung ausgeführt.
Benannt wurde die Wohnstadt nach dem Gewerkschaftsfunktionär und Reichstagsabgeordneten Carl Legien (1861-1920).
Seit Juli 2008 sind die Wohnsiedlungen
- Wohnstadt Carl Legien
- Gartenstadt Falkenberg
- Siedlung Schillerpark
- Hufeisensiedlung Britz
- Weiße Stadt
- Siemensstadt
als „Siedlungen der Berliner Moderne“ in die UNESCO-Liste des Weltkulturerbes aufgenommen.
Die sechs Berliner Siedlungen sind außergewöhnlicher Ausdruck einer breit angelegten Wohnungsreformbewegung, die einen entscheidenden Beitrag zur Verbesserung der Wohn- und Lebensbedingungen in Berlin geleistet hat. Ihre städtebauliche, architektonische und gartengestalterische Qualität sowie die in dieser Zeit entwickelten Wohnstandards dienten in der Folge als Leitlinie für den sozialen Wohnungsbau inner- und außerhalb Deutschlands.
Quellle: https://www.unesco.de/kultur-und-natur/welterbe/welterbe-deutschland/siedlungen-der-berliner-moderne